Archiv für August 12, 2013

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Armenische Realitäten
von Ivan Lizan

Während die armenische Regierung sich ihrer guten Politik und einer 7,2% Wachstumsrate erfreut, ist das Leben der Bürger ein furchtbarer wirtschaftlicher Zusammenbruch geworden. Nachdem man eine Zeit lang an das westliche Wirtschaftswunder geglaubt hat, fliehen nun viele aus dem Land, dessen Hauptproblem in der Kluft zwischen den Eliten und der Realität besteht.

Auf der ganzen Welt gehorcht das politische Leben den gleichen Gesetzen wie in Europa. Abgesehen von seltenen Ausnahmen sind es die der politischen Show. Zum Beispiel beschließen die EU-Beamten auf Grund der wachsenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme, welches Gefäß am besten für Olivenöl in Restaurants geeignet ist, während in den öffentlichen Parken von Lissabon Gemüsegärten blühen. In den Vereinigten Staaten ist man um die föderale Gesetzgebung für die Homosexuellen-Hochzeit besorgt, während man über das durch steuerfreie Zonen aufgezwungene Sklaventum einfach nicht spricht.

Die gleiche Situation herrscht in den ehemaligen Republiken der Sowjetunion. In der Ukraine gibt es dauernd Wahlen, aber in Armenien haben sich die leidenschaftlichen Meinungen über den Maïdan [1] langsam gelegt. Kaum hatte der orangenfarbige Politiker [2] Raffi Ovanissian seinen Hungerstreik beendet, schuf er schon eine politische Oppositionspartei und verbot jedermann ihn zu kritisieren. Man hat den Eindruck, als verwandle sich die Welt in ein riesiges absurdes Theater. In der Zwischenzeit wird die Bevölkerung in Armenien schnell ärmer und ärmer, während die Tüchtigsten das Land verlassen.
Der armenische Völkerschwund

Die Armenier flüchten. Laut einer Gallup-Studie wären 40% von ihnen bereit, ihr Land für immer zu verlassen. In ihrem Fall sind Wort und Handlung nicht sehr unterschiedlich. Im Jahr 2011 haben 43000 Armenier ihr Land verlassen, gefolgt von 42000 im darauffolgenden Jahr. Komisch ist nur, dass die offiziell verkündete 7% BIP-Wachstumsrate nicht im Geringsten auf die Auswandergefühle einwirkt. Das Auswandern ist schon das erste Thema der Massenmedien des Landes, vor dem Dilemma seiner Außenpolitik. Die Populisten behaupten, die Flucht wäre mit dem Mangel an Justiz verbunden, die Realisten sind der Meinung, sie führe zum Verlust der Souveränität. Das Auswandern wurde schon ein Wahlschlager der politischen Parteien. So hat also die politische Show schon wieder gesiegt und hat die Wirtschaftsprobleme und den Gasstreit mit Russland in den Hintergrund gedrängt. Mittlerweile könnte die Krise den Zusammenbruch der Wirtschaft des Landes mit sich bringen.
Wie die Krise der armenischen Wirtschaft den Gnadenstoß erteilt

Seit Anfang der 90er Jahre beschreitet Armenien den Weg der Ent-Industrialisierung. Seither lebt ein Drittel der Armenier unter dem Armutspegel, die Arbeitslosigkeit hat 16% überschritten und das staatliche Statistikbüro hat jegliche Verbindung mit der Realität verloren, indem es diese 7,2% Wachstumsrate angibt.

In Wirklichkeit sind nur die Schulden und die flüchtenden Kapitals-Beträge des Landes im Wachsen. Die Regierung macht sich keine Sorgen mehr, dass die äußeren Schulden des kleinen Landes 4 Milliarden Dollar überschritten haben, währenddessen das Kapital wie Sand durch die Finger rieselt. Allein im letzten Jahr verließen eine halbe Milliarde $ die Republik, was kaum zur Stabilität der nationalen Währung, dem Dram, beiträgt. Der von den Liberalen so geliebte direkte ausländische Investment (IDE)-Indikator gibt eine sehr trübe Vorschau. Der IDE-Betrag fiel um 27,5% im Vergleich zum letzten Jahr. Die Investitoren fliehen und kommen nicht zurück.

Allein die armenischen Fremdarbeiter in Russland tragen der Wirtschaft bei: sie schicken 2,5 Milliarden $ jedes Jahr und werden nur durch die Fremdarbeit der Tadschiken mit 3,6 Milliarden übertroffen. Die von der Türkei und Aserbeidschan praktizierte Isolierung Armeniens trägt kaum der Verbesserung der Lage bei. Nur eine Sache ist sicher in der armenischen Politik: niemand beabsichtigt die wirklichen Probleme zu lösen.
UE oder UEE : das Dilemma der geopolitischen Wahl Armeniens

Das Thema der Auswanderung hat momentan das Spitzenthema der Wahl zwischen der europäischen (EU) oder der euro-asiatischen Integration (UEE) überschattet. Die Politiker schaffen es nicht zu entscheiden, welchen Kurs das lecke Schiff „Republik Armenien“ einschlagen soll. Die dogmatischen Show-Politiker ändern dauernd den Kurs, während das Axiom, Texas werde von den Texanern geplündert, jegliche Integration unmöglich macht.

In der Zwischenzeit diskutierte man in Minsk, wo der Premierminister Tigran Sarkissian am 31. Mai war, über das Ausmaß der Kooperation zwischen Armenien und der Zollunion [3]. Armenien hat keine gemeinsamen Grenzen mit den Ländern der Zollunion und das ist genau das oft zitierte Argument, um sich gegen diese Wahl zu stellen [4]. Armenien hat jedoch auch niemals gemeinsame Grenzen mit der EU gehabt, aber der Beschluss zu Gunsten dieser Gemeinschaft wurde ein vorrangiges Thema für die armenische Regierung. So wäre die große Entfernung von Europa kein Hindernis für eine Gemeinschaft, oder noch mehr, für eine europäische mythologische Integration, die jedoch für eine gemeinsame Politik mit Russland, die trotz der Abwesenheit einer gemeinsamen Grenze Tatsache ist, wohl der Fall wäre. Wie man sagt: „nur der Wille zählt, das Format wird sicherlich gefunden werden“. Das sichtliche Resultat ist eine in mehrere Richtungen laufende Politik, die ebenso vom Westen als auch von der armenischen Diaspora in den USA beeinflusst wird.
Abschluss

Ohne Zweifel sind die nationalen Eliten das größte Unheil für die Nachbarrepubliken Russlands geworden, wo ein starker Staat fehlt: es ist unmöglich ohne ihn zu leben, aber unerträglich mit ihm zu leben. Die armenischen Führungsleute gehören aber diesen Eliten an. Wer auch immer die Präsidentschaftswahlen am Ende des Winters gewinnt: Der gewählte Präsident Sergej Sagsian oder der pro-amerikanische Opponent Raffi Ovanissian. Die Eliten sind während ihrer in Indianerreserven verbrachten Jahre heruntergekommen und haben sich in politische Show-men verwandelt. Aber man kann die klaffenden Löcher der armenischen Wirtschaft und der fliehenden Intelligentsia nicht einfach mit großartigen Reden auf politischen Treffen und Pressekonferenzen zustopfen.

Das Heil Armeniens, wie das der anderen Konfettis der ehemaligen UdSSR, ist Russland. Der einzige Wieder-Integrationsprozess und die Wieder-Schaffung eines Staates, brauchen neue Eliten, die den geopolitischen, aber auch wirtschaftlichen und demographischen Anforderungen gewachsen sind.
Ivan Lizan

Übersetzung
Horst Frohlich

[1] Maidan, als Analogie für die Ukraine, für die der Term Maidan Nezalejnosti den Platz der Unabhängigkeit in Kiev bedeutet, wo sich die Ereignisse der Orangen Revolution abgespielt haben, die zu einer pro-westlichen Regierung geführt haben. Die Leidenschaft für den „Maidan“ bezeichnet eine von außen orchestrierte „Revolution“, die dank intensiver Besetzung des öffentlichen Raumes und brennender Reden versucht, eine oppositionelle pro-westliche Regierung in ehemaligen Sowjet-Republiken (Georgien, Ukraine, Kirgisien) oder in der arabischen Welt (arabischer Frühling“) aufzubauen.

[2] Nochmals als Analogie mit der Ukraine, wo Orange die Farbe der pro-westlichen und pro-europäischen Politiker war, und wo ein „oranger Politiker“ vom Westen finanziert wurde.

[3] Die Euro-asiatische Union sucht rund um Russland einen Zivilisationsraum, einen wirtschaftlichen und Handelsraum zu schaffen, der, wenn auch kleiner, dem der UdSSR ähnelt. Sie setzt sich aus der euro-asiatischen wirtschaftlichen Union (UEE) und einer Zollunion (ZU), derzeit gebildet aus Russland, Weißrussland und Kasachstan, zusammen. Darüber hinaus könnten Kirgisien, Syrien und Tadschikistan, sowie Südossetien und Abchasien dieser Zollunion und Freihandelszone in den kommenden Jahren beitreten.

[4] Das Ziel der ZU, der UEE und der euro-asiatischen Union ist letztlich alle Länder zu vereinen, die einer konföderativen Integration um Russland herum angehören, um eine anders gestaltete sowjetische Union aufzubauen.
Ivan Lizan

Quelle : „Armenische Realitäten“, von Ivan Lizan, Traduction Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 7. August 2013, http://www.voltairenet.org/article179745.html

Voltaire Netzwerk | Damaskus (Syrien) | 12. August 2013

Während die westliche Presse die Annullierung des Obama-Putin-Gipfels als die schwerste diplomatische Krise seit dem Ende des Kalten Krieges beschreibt und die Standfestigkeit des Weißen Hauses begrüßt, sieht die chinesische Presse es als Schwächezeichen der USA gegenüber Russland. Für Thierry Meyssan ist dieser Fall im Grunde ohne Bedeutung. Es ist ein Gestikulieren von den Medien und hat keinen Einfluss auf den Frieden im Nahen Osten.

Mittwochmorgen kündigte das Weiße Haus an, dass Präsident Barack Obama seine Reise nach Russland und jegliches bilaterale Treffen mit Präsident Putin abgesagt habe. Er reist wohl zum G20-Gipfel am 5. und 6. September in St. Petersburg, aber nur um an diesem internationalen Gipfel teilzunehmen, ohne ein ad-hoc-Treffen mit seinem russischen Amtskollegen. Dies ist das erste Mal seit dem Kalten Krieg, dass Washington so seine Unzufriedenheit mit Moskau manifestiert.

Laut der US-Presse sind die beiden Präsidenten jetzt so weit von einander auf den meisten Themen entfernt, als hätten sie sich nichts zu sagen. Die Kommentatoren bewerten das dem NSA-Berater Edward Snowden gewährte Asyl, als das was das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Durch einen glücklichen Zufall, war der Ankündigung vom Weißen-Haus ein Leitartikel in der New York Times vorausgegangen – eine von der Macht vollkommen unabhängige Zeitung, was sich von selbst versteht -, der genau zu diesem Boykott als Reaktion auf die Enthüllungen von Snowden aufruft [1]. Die Zeitung spricht von einer „provokativen Entscheidung“ der russischen Behörden, einer Person Asyl zu gewähren, die nicht „für seine Rasse, Ethnie, Religion, Mitgliedschaft an einer sozialen oder politischen Gruppe oder für seine Überzeugungen“ verfolgt wird, sondern für „Verstoß gegen die Sicherheit des Staates“ (sic). In Wirklichkeit wäre dieser Absage-Grund sehr lächerlich: es würde bedeuten, dass Washington Moskau bestraft, sich gegen Spionage zu wehren, deren Objekt es mit dem Rest der Welt ist.

Der Gipfel sollte den militärischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern gewidmet werden: der Verringerung der Arsenale und dem „Raketenschutzschild“. Die beiden Großmächte konnten nicht beträchtlich ihre Atomwaffenarsenale reduzieren und beide behalten genug, um den Planeten mehrmals in die Luft zu jagen. Trotz der Budgetkürzungen weigern sich die Vereinigten Staaten, einen Teil ihrer Arsenale zu zerstören, während Russland – dessen konventionelle Armee viel weniger gut als sein US-Partner ausgestattet ist, – die Waffen als ein Ganzes denkt, und sich weigert, die Verhandlungen über nukleare Abrüstung getrennt von den konventionellen Waffen zu führen. Bezüglich des „Anti-Raketen-Schilds“ lehnt Moskau seinen irreführenden Namen ab und denunziert ein offensives Waffensystem das gegen Moskau gerichtet ist. Wladimir Putin nahm Washington beim Wort und hatte vorgeschlagen, dass diese „Schild“ unter ein gemeinsames Kommando gestellt werde und dass es beide Großmächte und ihre Verbündeten vor ein paar verrückten Diktatoren schütze. Barack Obama antwortete ihm „No“. Dann forderte Wladimir Putin, um seinen Verdacht aufzuheben, dass die Bereitstellung von diesem „Schild“ diplomatischen Zusicherungen unterliege, dass es nicht gegen Russland verwendet werde. Und noch einmal antwortete Präsident Obama „No“.

Auf russischer Seite gibt es wenig Zweifel, dass Barack Obama daher mit leeren Händen zu diesem Gipfel gekommen wäre, während er schon besonders befangen vor seinem russischen Amtskollegen im Vorjahr gewesen ist. Da er gerade drastische Ausgabenkürzungen im Pentagon verhängt hatte, kann er nicht mehr tun. Eher als seine Schwäche zuzugeben, ergriff er daher die Snowden-Affäre, um sich abzumelden. Die Global Times, chinesisches Äquivalent der New York Times und tatsächlich offizieller Sprecher von Peking, stellt in einem Editorial fest, dass Russland aus dem Snowden-Spiel als Sieger hervorginge und die Vereinigten Staaten keinen erheblichen Druck dagegen hätten [2].

Diese Absage wird jedoch für den Frieden im Nahen Osten wirkungslos sein. In der Tat haben sich diesen Freitag die Minister für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung der beiden Länder diskret in die US-Hauptstadt getroffen. John Kerry und Chuck Hagel haben sich dort sehr wenig betroffen gezeigt über die Annullierung von dem Obama-Putin-Gipfel. Sie zogen eine Zwischenbilanz mit ihren Kollegen über Nordkorea und die Entwicklung von Iran unter Scheich Hassan Rohani. Vor allem diskutierten sie über „gemeinsame Ziele in Afghanistan“ und die „mögliche Zusammenarbeit in Syrien“.
Thierry Meyssan

Übersetzung
Horst Frohlich

Thierry Meyssan

Thierry Meyssan Französischer Intellektueller, Präsident und Gründer des Réseau Voltaire und der Konferenz Axis for Peace. Er veröffentlicht Analysen über ausländische Politik in der arabischen, latein-amerikanischen und russischen Presse. Letztes, auf Französisch veröffentlichte Werk : L’Effroyable imposture : Tome 2, Manipulations et désinformations (hg. JP Bertand, 2007).

-09.08.13 – TÜRKEI – Erkenakon-Prozess-Urteilen – Präsident Abdullah Gul Meinung –
– Der türkische Präsident Abdullah Gul sagt, dass die Gerichturteilen in den Prozess Ergenakon haben ihm „betrübt“, wo der ex-Armeechef des Landes Iker Basbug lebenslänglich bekommen hat.
-Die Reaktion ist völlig in Widerspruch mit MP Erdogan und viele denken, ein Riss beginnt sich abzuzeichnen zwischen die beiden.
– Das Urteil wurde am 5. August erlassen, zusammen mit 300 anderen, Journalisten, Politiker, Wissenschaftler und Intellektuelle, alle beschuldigt ein Putsch gegen MP Erdogan versucht zu haben. Die angeklagten erhielten Strafen von 6 bis 100 Jahre hinter Gittern. Gul versichert die Presse, diese Urteilen waren nicht die letzte.
– Die türkische Opposition äußerte über die Urteilen Bestürzung. Der Führer der größten Oppositionspartei CHP sagte, die Urteile sind rechtwidrig, während der andere Opposition Partei MHP sagte das Erdogan führt das Land wie ein Mob.
Erdogan sagte dazu: „Viele denken, dass der MP diese Männer hinter Gitter brach, um die türkischen Streitkräfte zu schwächen“.

– Präsident Gul hat auch über die GEZI Park Proteste gesprochen, wo 5 Menschen starben und 7.000 verletzt wurden. Er sagte: „Wir fühlen tiefe Trauer für die die ihr Leben verloren haben und ihre Familien. Ich hoffe, dass ähnliche Vorfälle sich nicht widerholen“.

– Der Ton des türkischen Präsidenten Gul über die Ereignisse in dem Land, schiene sich von AK-Partei-Mitglieder und Präsident Erdogan zu unterscheiden. Und viele hier in der Türkei denken, dass innerhalb der Partei, inmitten der kommenden Präsidentschaftswahlen die Spaltung wächst, und man spekuliert, die beiden werden gegeneinander um die Präsidentschaft konkurrieren.

Kommentar: So was nennt man: aus der Bratpfanne ins Feuer zu fallen.